Gestern musste ich mir sagen lassen: „In welcher Blase lebst du eigentlich?“

Was für ein trendiges Totschlagargument.

Ich hatte es nicht lassen können, im Bekanntenkreis meinen Widerspruch zu der These zu äußern, dass heute wieder, „wie bei Erichs Zeiten, Bordsteine angestrichen werden, wenn Politiker zu Besuch kommen.“, und demzufolge von „denen da oben“ (auch eine meiner Lieblingsformulierungen) keiner weiß, was los ist. Empirisches Beweismaterial zur Argumentation wurde zur Untermauerung nicht geliefert.

Ja, jeder hat eine selektive Wahrnehmung, jedoch in meiner Blase erlebe ich, oder organisiere sogar, tatsächlich Besuche von Entscheidungsträgern, sodass ich mit Sicherheit behaupten kann, weder Bordsteine noch sonst etwas im Vorfeld angepinselt zu haben. Hat auch keiner verlangt. Wozu auch?

Regelmäßig sind doch solche Termine, eben anders als zu Erichs Zeiten, dazu gedacht, nicht nur über Erfolgsgeschichten zu sprechen, sondern auch Probleme anzusprechen, damit deren Lösung in Gesetzgebungsverfahren und Beschlüsse einfließen kann.

In welcher Blase lebt man also, wenn man glaubt, dass alle „Die da oben“ die da oben sind und geradezu absichtlich Fehler machen.

Mir schwant es, denn ich sehe mich proaktiv außerhalb meines Algorithmus und natürlichen Umfeldes um. Nach solchen Ausflügen bräuchte ich eigentlich regelmäßig psychologische Betreuung.

Oder Schnaps.

Wie soll man es auch ertragen, wenn zum Beispiel selbst ernannte lovepriests für „Peace und Harmonie“ von ihren Sofas mit rosa Kuscheltieren auf YouTube von der Meinungsfreiheit nur spärlich gedeckt, völlig ohne Argumente Personen diffamieren und gleichzeitig eigene T-Shirts mit germanischen Kampfmotiven bewerben. Beängstigend, wie viele Unterstützer es für diesen hanebüchenen Blödsinn gibt und absolut entsetzend, dass Bundestagsabgeordnete in Telegramgruppen diesen Inhalt verteilen und ausdrücklich unterstützen.

Jeder Erwachsene kann sein Umfeld selbst auswählen. Mit welcher Art der Kommunikation kommen wir mit denen ins Gespräch, die schon einen wenig durchlässigen Zaun errichtet haben und nur noch durch winzige Lücken schießen?

Wir müssen aber einen Weg finden.