Feindbild
Mut ist gratis
Wut ist umsonst.
Immer wieder werden von Populisten Modewörter geprägt, erfunden oder wiederentdeckt und sinnentfremdet verwendet, die eigentlich nur einem Zweck dienen sollen: respektlos Argumentationen zu ersticken, indem empathielose Menschen jene mit Mitgefühl diffamieren, mit dem Ziel der Verächtlichmachung. „Gutmensch“ und „Bahnhofsklatscher“ sind da zwei meiner „liebsten“. Wohin sind wir gekommen, wenn Mensch zu sein, eine Beleidigung darstellen soll.
Nun kam ein neues hinzu:
Gratismut.
So wird eigentlich Mut genannt, der eigentlich keinen Mut braucht, der nichts kostet und somit quasi kostenlos ist.
Ja, selbst wenn keine unmittelbare Gefahr für Freiheit, Leib und Leben damit verbunden ist, umsonst ist er deshalb noch lange nicht. Weil er trotzdem etwas bewirkt. Und wenn es nur die gegenseitige Versicherung ist, dass man nicht allein ist, oder ein Zeichen an alle, dass es einen Gegenstandpunkt gibt.
Natürlich ist es einfacher, im Schutz einer großen Gruppe in einer Großstadt aufzulaufen, als in einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt und die Umfragewerte eine andere Sprache sprechen. Gerade in kleinen Orten, in denen es keine Anonymität gibt, braucht es Haltung und es macht zumindest Aufwand. Somit sind 4.000 in Zwickau und 12.000 in Chemnitz ebenso viel wert wie 120.000 in Hamburg. Ach, nein. Ich vergaß. Die sind ja alle nur gephotoshoppt oder bezahlt.
Sind nicht eigentlich diejenigen, die dies vorwerfen, selbst gratismutig, weil sie oft nicht einmal mit offenem Visier ihre Meinung nur im Internet kundtun, ohne die wirkliche Gefahr belangt zu werden? Geschützt von der freiheitlichen Grundordnung, die sie so überflüssig finden, im Netz zu beleidigen, andere aufzuhetzen oder noch einfacher, unreflektiert Beiträge zu teilen und Kommentare abzuwerfen, ist alles andere als mutig.
Ich mag mir gar nicht vorstellen, welche Verletzungen und Komplexe hinter diesem Handeln stehen. Man google einfach mal die Gründe für das Entstehen eines Feindbilds und dessen verheerende Folgen.
Fazit ist, wer einen Schuldigen identifiziert, kann bequemer Opfer sein.
Wenn man das Bild mal weglegen würde, sähe man vielleicht, was hinter der Wut zu finden ist. Prägen wir ein anderes Modewort.
Nennen wir es Gratiswut.
Die ist auf jeden Fall umsonst, weil vergeblich.
Mut ist produktiv. Wut ist destruktiv.
Mut verändert. Wut zerstört.
Mut öffnet Wege. Wut macht blind.
Mut ist, zur offenen Käfigtür hinauszugehen. Wut ist, wild an den Stäben zu rütteln und deshalb die offene Tür nicht zu sehen.
Kathleen Scheurer